Wenn sich eine Mama bei mir meldet, weil sie eine Rektusdiastase hat oder zumindest vermutet dass es eine sein könnte, erkläre ich ihr am Telefon, dass wir zunächst eine Untersuchung ihres Bauches, ihres Rückens, ihrer Atmung, ihrer Körperstatik und vor allem ihres BECKENBODENS machen bevor ich eine Aussage zu ihrer Problematik machen kann.
Dass die RD ein multifaktorielles Problem ist, hat Nicole Frank in ihrem Blogbeitrag hier schon so schön erklärt - schaut ihn euch unbedingt an! Daher will ich auf das Zusammenspiel der Systeme, die wir in der Therapie als Rumpfkapselsystem, Innerer Zylinder, Innerer Kanister etc. bezeichnen, nicht nochmals eingehen, sondern nur nochmals betonen, dass es eben nicht reicht, sich nur den Bauch anzusehen. Und dass es auch gut sein kann, dass eine Rektusdiastase besteht, diese aber stabil ist und absolut nichts mit dem Problem der Frauen zu tun hat, mit dem sie sich bei mir vorstellen. Es geht darum den „Fahrer der Schubkarre“ zu finden, die die Symptome der Patientin beinhaltet: den von Diane Lee beschriebenen „primary driver“.
Bevor ich wieder zu euch Mamas spreche, noch ein kurzer Hinweis für alle Fachkollegen hier: ich finde, dass in der Rektusdiastase-Diskussion aktuell die Rolle der tiefen/stabilisierenden Rückenmuskulatur oft zu kurz kommt. Tolle Fortbildungen zu diesem Thema (Assessments und Behandlungen) bietet Christine Hamilton in Deutschland an. Sie stammt aus dem Team um Paul Hodges und Diane Lee. Ich durfte sie vor 10 Jahren erleben und sie hat meine therapeutische Arbeit nachhaltig geprägt - sehr empfehlenswert!
Nun zurück zum eigentlichen Thema: Der Beckenboden ist über Faszienzüge direkt mit der Bauchmuskulatur verbunden, er hat also direkt die Möglichkeit auf die Stabilität eurer Bauchdecke einzuwirken. Stellt euch das anhand eines weiten Hemdes vor, welches ihr über der Hose tragt: so locker ist eure Bauchdecke nach einer Entbindung. Wenn ihr nun dieses Hemd in die Hose steckt und an eurem Körper straff zieht, formt das Hemd euren Rumpf - und genau das macht der Beckenboden mit eurem Bauch: er strafft und stabilisiert ihn von unten. Da der Beckenboden in der Regel nach einer Entbindung überdehnt und schwach ist, ist es also unabdinglich, ihn in ein Behandlungskonzept einer Rektusdiastase einzubeziehen.
Wie läuft die Untersuchung des Beckenbodens ab?
Die Mamas kommen also zu mir zur Untersuchung und ein Großteil dieser Untersuchung findet am Beckenboden statt. Das heißt, ich untersuche zunächst mit meinen Fingern den Beckenboden. Häufig waren die Frauen nach dem Wochenbett schon beim Gynäkologen und haben dort die Aussage: „der funktioniert wieder“ gehört. Wenn man sich überlegt, wie diese untersuchen, wundert es nicht, dass wir Beckenbodentherapeuten häufig zu einem anderen Ergebnis kommen. Der Gynäkologe untersucht meist in Rückenlage, Beine hoch, lässt einmal die Scheide verengen und das war´s. Das wird dem Beckenboden in seiner Vielfältigkeit aber einfach nicht gerecht.
Einfaches Beispiel: ich untersuche auch erst im Liegen, aber dann noch einmal im Stand - also unter Schwerkrafteinfluss. Hier zeigt sich dann häufig, dass Kraft und Ausdauer des Beckenbodens deutlich nachlassen oder dass viele Frauen gar kein Gespür mehr dafür haben. Und wenn wir jetzt überlegen, wann die Symptome eines schwachen Beckenbodens (wie z.B. Urinverlust, Drang, Druck nach unten, Fremdkörpergefühl in der Scheide etc) auftreten, sollte jedem auffallen, dass das nicht die Rückenlage ist. Ergo macht es auch wenig Sinn, nur in dieser zu untersuchen.
Es gibt dann verschiedene Kriterien nach denen ich den Beckenboden untersuche und bewerte, was er kann und was er noch braucht. So kann ich den Mamas Hinweise und Anleitungen für Ihre Übungen geben. Manchmal ist es z.B. so, dass der Beckenboden hinten im Bereich des Anus gut arbeitet, aber vorne Richtung Harnröhre nicht. Daran können wir dann gemeinsam arbeiten, sodass die Frauen z.B.in einem Kurs ihren Beckenboden optimal einsetzen können.
Muss man dafür undbedingt palpieren (also anfassen)? Wenn Ihr mich fragt: ja! Natürlich kann ich auch von außen z.B. am Damm fühlen, ob der Bebo anspannt oder nicht. Aber wenn man sich die Anatomie des Beckenbodens anschaut, liegt er nunmal zum Großteil innen - und da komme ich von außen nicht heran. Auch lässt sich von außen nicht beurteilen. ob es Seitendifferenzen gibt, also zum Beispiel die linke Seite mehr arbeitet als die rechte oder wie oben beschrieben tatsächlich schließende Aktivität von der Harnröhrenmuskulatur vorhanden ist. Ein weiteres Thema ist die Beurteilung von tiefen Narben nach z.B. Scheidenrissen. Diese können, wenn sie nicht gut beweglich sind, die Arbeit des Beckenbodens massiv beeinflussen - und das kann ich nur palpatorisch herausfinden und beurteilen.
Nun gibt es leider nicht so viele Kolleginnen, die palpatorisch am Beckenboden arbeiten. Ihr könnt auf der Seite www.ag-ggup.de eure Postleitzahl eingeben und nachsehen, ob ihr jemanden in eurem Umfeld findet. Wenn nicht, dann achtet bitte darauf, dass der Beckenboden bei eurer Arbeit an der Rektusdiastase einbezogen wird - genauso wie Haltung, Atmung und Rückenmuskulatur.
Ultraschall-Diagnostik
Nach der Palpation sehen wir uns dann zusammen den Beckenboden im Ultraschall an. Das ist eine tolle Möglichkeit besonders für Frauen, die kaum Gefühl für ihren Beckenboden haben: im Ultraschall können sie die Bewegung ihrer Muskulatur sehen und damit bestätigt wissen, dass der Beckenboden etwas tut, obwohl sie es noch nicht spüren können. Für mich ist der Ultraschall eine Bestätigung und Ergänzung meines palpatorischen Befunds und ich kann im Bild noch besser sehen, ob z.B. die Anspannung, die ich fühle, ausreichend ist, um beim Husten die Blase zu stabilisieren.
So sieht der Beckenboden in Funktion aus: das schwarze Rechteck ist die Blase und der kleine Berg, der sich mittig am unteren Rand bildet zeigt einen gut funktionierenden Beckenboden in der Anspannung. Wie eine Hand greift er von unten unsere Blase um sie z.B. beim Husten zu stabilisieren
Auch Rektusdiastasen lassen sich im Ultraschall schön darstellen. Man kann sie ausmessen (Tiefe/Breite) und sehen, wie stabil die Linea alba (also die Faszienschicht zwischen den Muskelbäuchen) ist. Außerdem sehe ich im US genau, bei welchen Übungen sich der „load“ also der Spannungsaufbau der Diastase verbessert und bei welchen nicht. So kann ich individuell für jede Frau die passenden Übungen auswählen.
Abschließend 3 Punkte, die mir in Bezug auf das Thema wichtig sind:
1. Wenn eure letzte Entbindung noch nicht lange her ist und ihr die Diagnose Rektusdiastase bekommen habt: stresst Euch bitte nicht! Nehmt euch erstmal Zeit, eure Körpermitte im Rahmen der Rückbildung zu stabilisieren und informiert euch was Ihr im Alltag beachten solltet. Hört euch unterschiedliche Meinungen an, geht vielleicht auch mal zum Chirurgen um die Optionen dort zu kennen und dann gebt euerm Körper erstmal ein bisschen Zeit. Er hat Großartiges geleistet und braucht jetzt einfach etwas Zeit zum Regenerieren. Eine Diastase lässt sich auch nach Jahren noch stabilisieren und solange ihr noch in der Rückbildung seid (mindestens 9 Monate nach Entbindung) und vielleicht auch noch stillt, wird euer Körper sich sowieso noch verändern. Bei diesem Thema muss frau sich einfach etwas in Geduld üben.
2. Besucht einen Rückbildungskurs und macht mindestens 2x/Woche zusätzlich ein paar Übungen die ihr dort lernt. Einmal pro Woche ist als Reiz etwas wenig und nach 8 Wochen ist die Rückbildung auch nicht abgeschlossen! Die Krankenkassen unterstützen in der Regel noch zwei Präventionskurse nach der Rückbildung, sodass ihr euch aus dem wundervollen Angebot, das wir in Deutschland haben, noch ein bisschen weiter in eurer Rückbildung begleiten lassen könnt.
3. Nutzt euren Alltag: um etwas für eure Körpermitte zu tun, müsst ihr euch nicht die Zeit nehmen und euch allein auf die Matte auf den Boden legen! Die Körpermitte könnt und solltet ihr in jeder Alltagssituation beüben: beim Heben/Tragen eures Babys, beim Sitzen am Tisch, Schieben des Kinderwagens… Das ist das Tolle und Zeitsparende am Körpermittetraining. Jeder Atemzug kann, richtig ausgeführt, Deine Körpermitte trainieren!
In diesem Sinne, liebe Grüße an alle Mamas, Kollegen, Betroffene und Interessierte am Thema sendet euch Sabrina Nieland (Beckenbodentherapeutin, Physiotherapeutin, Postnataltrainerin). Bei Fragen zum Thema, sprecht mich gerne über das Kontaktformular auf meiner website www.mamath.de an, ich bin bemüht zeitnah zu antworten.
Die Autorin

Sabrina Nieland
Sabrina Nieland ist Physiotherapeutin aus Hamburg, spezialisiert auf die Beckenbodentherapie. Sie hat eine private Physiotherapiepraxis (www.mamath.de) und unterstützt Schwangere und Mütter bei Beschwerden am Bewegungsapparat. Ihr Spezialgebiet sind palpatorische Behandlungen und Diagnostik am Beckenboden bei Beschwerden wie: Inkontinenz, Senkungen, Rektusdiastase oder schmerzhafte Narben. Unterstützt durch Ultraschalldiagnostik bietet sie die Durchführung von Beckenbodencheckups als Hausbesuch oder in der Praxis an. Kontakt über www.mamath.de